Geschäftsbericht der Lindenhofgruppe 2020

28 Wie fördert die Zertifizierung das interdisziplinäre Zusammenspiel aller Beteiligten? Ruth Gräter: Die Zertifizierung ist sehr wichtig. Die dafür zu erfüllenden Vorgaben bestimmen unsere Handlungsspielräume. Die Zertifizierung stärkt auch die Verbindlichkeit zwischen den einzelnen Akteuren und ordnet die Zusammenarbeit. Denn man begegnet sich nicht nur bei Tumorboards, sondern auch bei Momos (Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen) und Sitzungen. Darüber hinaus eröffnet sie auch einen dynamischen Begeg- nungsraum für alle Akteure. Wir sehen uns regelmässig und reden miteinander – auch wenn es mal Schwierigkeiten gibt. Das ist wichtig für die Netzwerkpflege und die Vertrauensbildung untereinander. Intensive, interdisziplinäre Zusammenarbeit ist heute üblich. Es ist schön und wichtig, dass die Lindenhofgruppe diesen Schritt gegangen ist. Sie hat sich organisiert. Das war sicher sehr aufwändig und herausfordernd. Schon aufgrund der Belegarztsituation. Aber auch notwendig. Denn die eigentliche Stärke sind die Kompetenzen vor Ort. Diese sind nun gebündelt. Damit hat die onkologische, interdisziplinäre Zusammenarbeit ein Fundament und eine Struktur erhalten, die heute im kompetitiven Gesundheitsmarkt notwendig sind. Ist ein System aus Belegärztinnen und -ärzten für das Onkologiezentrum geeignet? Ruth Gräter: Ein Belegarztspital – als Verbund von Expertinnen und Experten – hat die Chance, sich qualitativ und in der Betreuung von Patientinnen und Patienten anders zu positionieren als ein Spital des öffentlichen Anspruchs. Eine Identität zu entwickeln, ein gemeinsames Ziel zu fokussieren und es zu erreichen aber braucht mehr Energie als sonst wo. Denn hier liegen auch die Schwierigkeiten: die Einzelexperten haben unterschiedliche Ansprüche an ihre eigene Tätigkeit, nicht zuletzt in der Ausrichtung betreffend Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit. Ich verstehe das Onkologiezentrum Bern als grosse Netzstruktur, mit Arbeitsflächen und Knotenpunkten, die als Untereinheiten den Boden für die einzelnen Tumorzentren bilden. Je nach internen oder externen Bedürfnissen bewegt sich diese Netzstruktur. Es braucht beides, Flexibilität und Verbindung zueinander. Yvonne Martinelli-Kühni: Eine Zentrums-Struktur in einem Belegarztsystem aufzubauen bringt besondere Herausforderungen mit sich und verlangt individuelle Lösungen. Belegärztinnen und -ärzte sind auch Unternehmerinnen und Unternehmer und können untereinander in Konkurrenz stehen. Es setzt Mut voraus, für das grosse Ganze und für den Nutzen der interdisziplinären Behandlung von Patientinnen und Patienten die eigenen Interessen in den Hintergrund zu stellen. Zuerst musste eine Vertrauensebene geschaffen werden, um im Netzwerk unter den Behandlungspartnerinnen und -partnern die notwendige Transparenz herzustellen. Es war wichtig aufzuzeigen, welchen Mehrwert ein zertifiziertes Zentrum für die Belegärztinnen und -ärzte generiert. Ruth Gräter: Es macht keinen Sinn, dass wir Ärztinnen und Ärzte uns durch zu viele administrative Arbeiten von unseren Kernkompetenzen entfernen. An anderen Stellen ist dafür Know-how vorhanden, das wir nutzen können. Das ist fantastisch! Das Onkologiezentrum Bern besteht nicht nur aus Tumorboards. Es ist eine organisatorische Einheit, die durch ihr administratives Wissen und ihr spezifisches Know-how kompetente evidenzbasierte Medizin zum unmittelbaren Nutzen für Patientinnen und Patienten umsetzt. Geschäftsbericht 2020 Lindenhofgruppe Onkologiezentrum Bern Dr. med. Ruth Gräter, Fachärztin Radio-Onkologie, Leiterin der Radio-Onkologie Modernste Bestrahlungsgeräte und hohe fachliche Kompetenz bilden die Basis der Radio-Onkologie in der Lindenhofgruppe. Im Onkologiezentrum Bern der Lindenhofgruppe bildet die Radio-Onkologie einen wesentlichen Teil der Behandlungskette und übernimmt unter anderem die Vor- und Nachbereitung der Tumorboards sowie deren Moderation. In diesen regelmässigen Sitzungen beraten alle beteiligten Fachexpertinnen und -experten über das optimale Vorgehen. So erhalten die Patientinnen und Patienten des Onkologiezentrums Bern eine individuell für sie geplante Behandlung.

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