Einer von vielen? Nicht für uns.

Geschichten aus unserer Spitalgruppe sind auch Geschichten unserer Zeit. Susanne Berchten, Physiotherapeutin bei der Lindenhofgruppe, bat uns, eine dieser Geschichten hier zu erzählen. Gerne stellen wir den beeindruckenden Werdegang von Daniel Bereket vor.

Daniel Bereket: Einer von vielen? Eine ausgefüllte Kindheit mit vielen Geschwistern, zwischen Schulaufgaben und Mitarbeit im elterlichen Geschäft, nachmittäglichem Spiel und Filmabenden im Dorf. Der Auszug mit 15 Jahren, um in der Stadt die weiterführende Schule zu besuchen. Das Militärtraining. Die Matura. Das Studium der Politikwissenschaft. Bachelor und Zwangsdienst im eritreischen «Nationalservice». Staatliche Willkür, geplatzte Zukunftsträume, Perspektivlosigkeit. Dann 2014 die Flucht aus Eritrea. Erst Äthiopien, dann als Bäcker im Sudan. Weitergetrieben und schliesslich auf der Suche nach Zukunft in ein Fischerboot gestiegen. Zusammen mit 200 fremden Menschen. Dunkelheit, Kälte, Wellengang, ein Helikopter und die Rettung. Schlaf gefunden in einem Zug. „Papiere bitte!“ – Aufwachen in Chiasso. Übernachten im Empfangs- und Verfahrenszentrum. Der nächste Tag endet in der Schweiz: Asylzentrum Altstetten. Asyl beantragen. Hoffen. Stillstehen. Warten. Zukunft ungewiss. Bis auf Weiteres …

Susanne Berchten, Physiotherapeutin und Daniel Bereket, diplomierter Pflegefachmann HF
Susanne Berchten, Physiotherapeutin und Daniel Bereket, diplomierter Pflegefachmann HF
Arbeiten heute bei der Lindenhofgruppe zusammen und schätzen einander: Susanne Berchten, Physiotherapeutin und Daniel Bereket, diplomierter Pflegefachmann HF.

Die Zeit der Ungewissheit

Zwei Jahre sollte es dauern, bis Daniel Bereket den Status als anerkannter Flüchtling bekam. In dieser Zeit durfte er nicht zur Schule gehen, keinen Deutschkurs besuchen, nicht arbeiten, nichts. «In ständiger Angst vor der Abschiebung zu leben, war das Schlimmste», sagt er. Nichts tun, warten, Angst haben. Schwer zu ertragen für einen 23-Jährigen. Er nutzte die Zeit und brachte sich selbst Deutsch bei, so gut es ging. Seine Englischkenntnisse halfen ihm dabei. Wenn er heute an diese Zeit zurückdenkt, sagt er: «Die einfachen Dinge haben mich total beeindruckt. Zum Beispiel: ein Busticket am Automaten kaufen, dass der Bus dann auch pünktlich abfährt, die bequemen Sitze. Überhaupt der hohe Lebensstandard. Ich hatte eine andere Vorstellung von Europa und der Schweiz als das, was ich erlebt habe. Ich musste mich anpassen.» Daniel Bereket war in den ersten beiden Jahren in mehreren Asylzentren in der Schweiz. «Man hatte da kaum Privatleben. Ich bekam Essen, hatte ein Dach über dem Kopf und einen Schlafplatz. Aber wir waren viele in einem Raum. Wir wurden oft durchsucht und immer wieder kontrolliert. Ich hatte keinen Kontakt zu meiner Familie. Ich hatte keine Kleider und nur sehr wenig Geld.» In seinen jungen Jahren hat er viel gesehen und erlebt. «Das ist noch eine andere Belastung. Niemand spricht davon. Man verurteilt die Menschen.» Daniel Bereket musste sich durchschlagen. Mal allein auf sich gestellt, mal mit der Unterstützung anderer …

Daniel Bereket
Daniel Bereket
Zwei lange Jahre bis zum Status als anerkannter Flüchtling: Daniel Bereket nutzte diese Zeit, um Deutsch zu lernen. Das war besser als nichts tun und warten.

Die Zeit der Entscheidung

Den Schutzstatus bekam Daniel Bereket 2016. Er konnte Beratungsgespräche wahrnehmen, die er als hilfreich empfand. «Es gab demotivierende Berater, aber zum Glück auch andere, die mehrere Alternativen aufgezeigt haben. Es kommt eben immer auf die Menschen an, denen man begegnet.» Endlich konnte der junge Eritreer verschiedene Deutschkurse besuchen und wichtige Sprachnachweise erlangen. Dort absolvierte Daniel Bereket auch den Pflegehelferkurs (SEK-Kurs). Es ging voran. Ein achtmonatiges Praktikum in einem Altersheim brachte die Entscheidung für den Ausbildungsweg in der Pflege. Sein Ehrgeiz und die neuen Zukunftsaussichten motivierten ihn. Er entschied sich für die HF und lernte für das C1-Zertifikat in Deutsch. 2018 schrieb er sich ein.

Die Zeit der Ausbildung

Im ersten Semester musste er jeden Abend büffeln und den Stoff des Tages wiederholen, weil er die Hälfte nicht verstanden hatte. Im zweiten Semester sass auch das Fachvokabular und er kam viel besser mit.

«Drei Jahre habe ich studiert und dabei auch Praktika absolviert. Theorie und Praxis gehen bei der Ausbildung Hand in Hand. Die Dinge, die ich im Studium gelernt habe, konnte ich in der Praxis umsetzen. Ich liebe jetzt meinen Beruf. Es ist mir wichtig, dass ich auch Weiterbildungen machen kann.» Und seine Verwandten in Eritrea? Was haben sie gesagt, als sie von der abgeschlossenen Ausbildung in der Schweiz gehört haben? «Im Fachgespräch habe ich ein A bekommen. Das hat mich besonders gefreut. Und meine Mutter auch. Sie hat immer viele Hoffnungen in mich gesetzt und mir vertraut, dass ich das Studium abschliessen werde.»

Daniel Bereket konzentriert bei der Arbeit. Er liebt seinen Beruf.
Daniel Bereket konzentriert bei der Arbeit. Er liebt seinen Beruf.
Daniel Bereket konzentriert bei der Arbeit. Er liebt seinen Beruf.

Die Zeit des Ankommens

Daniel Bereket erzählt, dass er im vierten Semester im Lindenhofspital in der Orthopädie arbeiten durfte. Seine Berufsbildnerinnen hätten ihn beeindruckt und geprägt, sagt er. Das ganze Team sei sehr gut gewesen und er habe sich wohlgefühlt. Dann bekam er Corona. Er isolierte sich in seiner Wohnung. Der Betriebsarzt kam zu ihm nach Hause. «Er brachte Lebensmittel mit. Ich musste dafür nicht bezahlen. Das war unglaublich nett. Dann wurde ich hospitalisiert. Das ganze Team fragte nach mir, kümmerte sich und schrieb mir Genesungskarten. Es fühlte sich an wie eine Familie. Für mich war klar, hier möchte ich mein letztes Praktikum machen. Meine Ausbilderin hat mir das zum Glück ermöglicht.» Heute ist Daniel Bereket diplomierter Pflegefachmann HF bei der Lindenhofgruppe. Er arbeitet als Verantwortlicher und Ansprechperson immer im Tandem mit einer Fachfrau oder einem Fachmann Gesundheit zusammen und freut sich noch immer über seinen Erfolg: «Ich kenne das Team, ich kenne die Abläufe. Ich freue mich, dass ich bleiben darf. Es hat mir bisher gut gefallen und die Herausforderung passt genau.»

Daniel Bereket
Daniel Bereket
Als diplomierter Pflegefachmann HF bei der Lindenhofgruppe trägt Daniel Bereket heute Verantwortung. Er kennt die Abläufe, schätzt das Team und freut sich über die Herausforderungen, die er im Berufsalltag meistern darf.

Die Zeit der Zukunftsplanung

Daniel Bereket hat noch viel vor: «Die Lindenhofgruppe ist ein guter Arbeitgeber. Hier kann ich an mir arbeiten, mich weiterbilden und mein Fachwissen verbessern. Gerne möchte ich ein Nachdiplomstudium in der Anästhesiepflege machen. Darauf konzentriere ich mich.»

Daniel Bereket
Daniel Bereket
Daniel Bereket: «Man weiss nicht, was möglich ist. Du musst die richtigen Leute finden, die dir die Wege aufzeigen. Ich hatte dieses Glück: Eine Mentorin von der Integrationsplattform Coopera hat mich drei Jahre begleitet und sehr unterstützt. Wir stehen noch heute in Kontakt. Darüber freue ich mich.»

Daniels Geschichte soll dazu motivieren, flexibel zu bleiben, eigene Werte und Ziele nicht aus den Augen zu verlieren und sein Bestes zu geben.

Wir danken Daniel Bereket für das Interview und Susanne Berchten für den Anstoss dazu.

Merci!

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