«Auffallend oft sagen Patientinnen, dass eine Krebsdiagnose sie dazu bringt, ihre Prioritäten zu überdenken.»

Die Breast and Gyn Care Nurse ist ein wichtiges Bindeglied zwischen den Ärztinnen und Ärzten und den Patientinnen. Sie müssen zuhören können und wissen, was jede Patientin braucht. Denn nur so können sie die Patientin wirksam unterstützen. Ein Gespräch mit Barbara Schüpbach-Haller, Breast and Gyn Care Nurse im Brustzentrum Bern.

Worin sehen Sie Ihre Hauptaufgabe als Breast and Gyn Care Nurse?
Barbara Schüpbach-Haller: Ich begleite und unterstütze Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind. Wir klären Fragen rund um die Erkrankung und zu den geplanten Behandlungen. Wir vermitteln Kontakte zu psychoonkologischen Angeboten, zum Sozialdienst oder zur Krebsliga. Die Frauen können uns während der gesamten Therapie, aber auch darüber hinaus ansprechen. Die Frauen schätzen, dass sie uns jederzeit auch banale Fragen stellen dürfen. 

Die Patientinnen setzen damit hohes Vertrauen in Ihre Empfehlungen?
Barbara Schüpbach-Haller: Wir sehen uns als Teil des Behandlungsteams und betreuen die Patientinnen als Team. Als Pflegefachpersonen vertrauen uns Patientinnen manchmal Bedenken an, die sie gegenüber der Ärzteschaft nicht ansprechen möchten. Wir versuchen im Gespräch, das Thema genau zu erfassen. Damit wir die Patientin mit den richtigen Stellen vernetzen und ihr die Informationen geben können, die sie braucht. 

Das bedeutet aber auch, dass Sie jede Patientin sehr genau kennen müssen?
Barbara Schüpbach-Haller: Es ist wichtig, dass wir eine individuelle Beratung anbieten, um die Frauen gezielt begleiten zu können. Wir versuchen, die Patientinnen in ihren Stärken zu unterstützen. Im Gespräch versuchen wir, zusammen mit der Patientin zu ermitteln, was sie benötigt: Sind es vertiefte Informationen zur Erkrankung, sind es Bewegungs- oder Gesprächsangebote? Intern bietet die Physiotherapie den Gruppenkurs Viniyoga an, den ich gerne empfehle. Auch auf unser Angebot der Ernährungsberatung weise ich gerne hin. 

Gibt es auch Patientinnen, die Informationen blocken und nur ihre Ruhe haben wollen?
Barbara Schüpbach-Haller: Wir besuchen alle Patientinnen während ihres Spitalaufenthalts. Dabei gehen wir vorsichtig auf die Frauen zu und stellen unser Angebot vor. In der Regel sind die Frauen sehr dankbar, mit jemandem sprechen zu können. Sie schätzen eine Fachperson, die Zeit hat, die vielen vorhandenen Fragen mit ihnen anzuschauen. Es kommt aber auch vor, dass Patientinnen lieber mit ihren Gedanken für sich sind. Ich erlebe aber oft, dass sie mich im Nachhinein kontaktieren und froh waren, mich im Spital kurz kennengelernt zu haben. 

«Viele können zahlreiche Aufgaben mit der Familie bewältigen, das finde ich persönlich immer sehr schön.»


Auch zum Beispiel zum Thema Alltagsbewältigung?
Barbara Schüpbach-Haller: Das Thema Alltagsbewältigung stellt für viele Patientinnen eine Herausforderung dar. Bei Frauen mit Kindern stehen oft organisatorische Aspekte im Vordergrund: Wie komme ich mit der eingeschränkten Beweglichkeit klar? Was geschieht mit Haushalt und Garten? Viele Patientinnen können zahlreiche Aufgaben gemeinsam mit ihrer Familie bewältigen, das finde ich persönlich immer sehr schön. Ansonsten schaue ich, mit welchen Angeboten wir die Familie unterstützen können. Ich arbeite dabei häufig mit der Krebsliga zusammen. Sie bietet zahlreiche Angebote in diesem Bereich an. 

Wie gehen Kinder mit der Erkrankung der Mutter um?
Barbara Schüpbach-Haller: Ich höre oft, dass sich die Kinder Sorgen um ihre Mutter machen. Wenn immer möglich, ermutige ich die Familien zu einem offenen Austausch mit den Kindern. Ihre Fragen sind häufig herausfordernd. Entsprechend dem Alter der Kinder empfehlen wir auch Bücher und Materialien, die helfen, die Erkrankung zu thematisieren. Die Schulen sind meist auch gut organisiert. Die Lehrerinnen oder Lehrer bieten nicht selten an, eine Schulpsychologin oder einen Schulpsychologen beizuziehen. Diese Hilfe nehmen viele Familien gerne an. 

Und wie reagieren die Angehörigen?
Barbara Schüpbach-Haller: Ein gutes Umfeld und ein tragfähiges soziales Netz sind sehr wertvoll für die Betroffenen. Wichtig ist, dass die Angehörigen auf sich Acht geben, damit sie dieser Belastung standhalten können. Das gilt auch für Partnerschaften. Eine Erkrankung mit den körperlichen Veränderungen und emotionalen Herausforderungen kann eine grosse Belastung für eine Beziehung darstellen. Ich erlebe aber immer wieder, dass Paare gestärkt aus einer solchen Geschichte herausgehen, weil sie den Weg gemeinsam gemeistert und viel Neues voneinander gelernt haben. 

«Ein Lächeln zum richtigen Zeitpunkt kann sehr viel bewegen.»


Gibt es auch positive Fälle?
Barbara Schüpbach-Haller: Auffallend oft sagen Patientinnen, dass eine Krebsdiagnose sie dazu bringt, ihre Prioritäten zu überdenken. Viele Frauen fragen sich, was ihnen im Leben wirklich wichtig ist. Vielen wird bewusst, dass sie nach ihren Kindern, ihrer Partnerin oder ihrem Partner und auch nach ihren Eltern schauen, aber nicht zu sich selbst. Meine Aufgabe besteht darin, die Frauen dabei zu unterstützen, konkrete Dinge zu finden, die sie für sich tun können. 

Was verbinden Sie mit den Begriffen Expertise und Empathie?
Barbara Schüpbach-Haller: Unter Expertise verstehe ich, dass ich die Frauen darin befähige, die Kontrolle über ihre Erkrankung zu erlangen. Mit Empathie verbinde ich Lebenserfahrung und Menschlichkeit. Wir sehen die Patientinnen nicht nur als Patientin, sondern zunächst einmal als Mensch. Ein Lächeln zum richtigen Zeitpunkt kann sehr viel bewegen. 

Bleiben die Gedanken an die Patientinnen hier im Spital oder folgen sie Ihnen auch nach Hause?
Barbara Schüpbach-Haller: Ich fühle sehr mit den Patientinnen mit, kann aber auch gut abschalten. Dabei hilft mir der Arbeitsweg mit dem Fahrrad. So komme ich rasch auf andere Gedanken. 

Was geben Sie Ihren Patientinnen mit auf den Weg, wenn sie die Lindenhofgruppe verlassen?
Barbara Schüpbach-Haller: Auch das ist sehr individuell. Mir ist wichtig, dass die Patientin weiss, was die nächsten Schritte sind. Dass sie Strategien hat, um mit der Situation umzugehen – und dass sie weiss, dass sie sich jederzeit wieder bei mir melden kann.

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