«Nachsorge ist Heilungszeit.»

Die Zeit der Nachsorge steht den Patientinnen zu. Zum Beispiel, um sich mit den neuen Lebensumständen anzufreunden und zu Kräften zu kommen. Häufig aber fällt es den Patientinnen schwer, das zuzulassen. Auch das Umfeld spielt dabei eine entscheidende Rolle. Ein Gespräch mit Dr. med. Caroline Kempter, Fachärztin Radiologie, Brustzentrum Bern.

Wirkt sich ein starkes, gut etabliertes Netzwerk auch auf das Thema Nachsorge aus?
Dr. C. Kempter: Ja, durchaus. Im Brustzentrum Bern der Lindenhofgruppe haben wir die langjährige medizinische Expertise unserer Fachärztinnen und Fachärzte. Auch unsere modernste Infrastruktur trägt wesentlich zur Qualität bei – besonders in der Radiologie. So unterstützt uns bei der Auswertung von Mammografien und Tomosynthesen, also von 3D-Mammografien, zum Beispiel eine KI-Lösung von iCAD. Der Einsatz dieser künstlichen Intelligenz verbessert das Niveau der Befunde deutlich. Ergänzt wird dies durch ein umfassendes Beratungsangebot, das ebenso bedeutsam ist wie die medizinische Versorgung selbst. Zum Beispiel die Breast Care Nurses, diplomierte Pflegefachfrauen mit Erfahrung und einer entsprechenden Spezialausbildung zum Thema Brustkrebs. Sie begleiten die Patientinnen und bieten ihnen die Möglichkeit, ohne Scham Fragen zu stellen. Diese Fragen dürfen auch persönlicher oder intimer Natur sein. Wir haben Psychoonkologinnen und -onkologen, die helfen, mit den Belastungen der Erkrankung umzugehen. Kooperationspartner, wie zum Beispiel Prolindo , bieten eine Beratung zu Patientenkompetenz an. Sie unterstützen Patientinnen und Patienten dabei, einen persönlichen Beitrag zur Krankheitsbewältigung zu leisten. Dann gibt es die genetische Beratung. Hier kann die Patientin ein Gespräch vereinbaren, ohne gleich eine genetische Abklärung machen zu müssen. Auch das Case-Management im Sozialbereich zählt zu unseren Angeboten. Sie schauen sich die Lebenssituation der Patientin an und ermitteln, welche Unterstützung sie insbesondere nach dem Spitalaustritt benötigt. Ergänzend spielen Physiotherapie sowie Ernährungs- und Sexualberatung eine wichtige Rolle. Kurz: ein starkes Team, das einem praktische Unterstützung in zahlreichen Bereichen bietet. Das ist sehr wertvoll. 

Das Netzwerk ist damit auch ein Netz, in das sich die Patientin fallen lassen kann?
Dr. C. Kempter: Bekommt man die Diagnose Krebs, ist das überwältigend. Hat man dann ein Netz, dem man vertrauen kann und in dem man sich aufgehoben fühlt, ist das enorm hilfreich. Als DKG-zertifiziertes Brustzentrum besprechen wir im Falle einer Brustkrebsdiagnose die Therapieoptionen in einem interdisziplinären Team. Natürlich stets unter Einhaltung strenger Qualitätsrichtlinien. Wir sind das zweitgrösste Brustzentrum der Schweiz mit hohen Fallzahlen. Dadurch haben wir eine herausragende Expertise – auch bei selteneren oder komplexeren Fällen. Durch unsere Arbeit im Belegarztsystem und die enge Zusammenarbeit mit unseren Zuweisern können wir zudem eine individuellere und persönlichere Betreuung der Patientinnen ermöglichen. Fühlt sich eine Patientin von einem bestimmten Team oder von einer bestimmten Einzelperson besonders gut betreut, können wir ermöglichen, dass das Betreuungsteam gleich bleibt. Das spielt nicht für jede Patientin eine Rolle, für einige aber schon. 

Entsteht dadurch auch eine Art persönlicher Bindung?
Dr. C. Kempter: Es gibt Frauen, die ich seit Jahren regelmässig zur Vorsorge oder zur Nachkontrolle sehe. Es ist schön, wenn ich so erfahre, wie es ihnen in der Zwischenzeit ergangen ist. Persönliche Beziehungen dieser Art haben wir hier alle. 

«Meistens können wir sagen: Alles gut.»


Die Lindenhofgruppe verbindet Expertise mit Empathie: Wie wird dies in der Nachsorge spürbar?
Dr. C. Kempter: Patientinnen, die zu uns zur Nachsorge kommen, sind oft angespannt. Sie haben Angst vor einem möglichen schlechten Resultat. Wir sind uns dessen bewusst. Deshalb versuchen wir, die Wartezeit zu verkürzen, indem wir ihnen meist direkt nach der Untersuchung ein erstes Resultat mitteilen. Wir schauen uns die Mammografie an, prüfen die Qualität und vergleichen das Ergebnis mit dem Resultat der letzten Untersuchung. Meistens können wir sagen: Alles gut. Das ist wichtig, denn die ungewisse Wartezeit zwischen Untersuchung und der Mitteilung zum Befund ist für viele der Patientinnen sehr unangenehm. Wenn etwas unklar ist, sprechen wir das auch direkt an. Dann wissen sie schon einmal, worauf sie sich einstellen können. 

Haben Sie häufig Kontakt zu den Patientinnen?
Dr. C. Kempter: Wir haben viel Kontakt, zum Beispiel nach der Mammografie oder bei der Ultraschalluntersuchung. Die Patientinnen, die nicht am gleichen Tag einen Termin bei der zuweisenden Ärztin oder dem zuweisenden Arzt haben, sehen wir im Engeriedspital persönlich. Wir teilen ihnen das Resultat der Untersuchung mit und beantworten ihre Fragen. Wir verabschieden uns von vielen Patientinnen auch persönlich. Das schätzen sie sehr. Das ist auch einer der Gründe, warum die Patientinnen gerne zu uns kommen. 

Die Patientinnen kommen gerne zur Untersuchung?
Dr. C. Kempter: Letzthin ist eine etwa 65-jährige Patientin zu uns zur Nachsorge gekommen. Bei ihr wurden drei Arten von Krebs diagnostiziert, unter anderem Brustkrebs. Sie habe schon einiges mitgemacht die letzten Jahre, wie sie mir erzählte. Als ich sie fragte, wie es ihr denn gehe, hat sie geantwortet: Es geht mir gut, ich freue mich über positive Begegnungen wie die hier in der Nachsorge. Antworten wie diese beeindrucken mich immer wieder. Wie tapfer Menschen mit derartigen Schicksalsschlägen umgehen. Natürlich gibt es auch Frauen, für die die Nachsorge ein Horror ist. Sie haben zum Beispiel Angst vor einem negativen Resultat, oder die Erinnerung an die Zeit der Diagnosestellung kommt hoch. Dennoch bekommen wir häufig die Rückmeldung, dass die Patientinnen sich gut aufgehoben fühlen. Das ist uns sehr wichtig. 

Was beschäftigt Patientinnen am meisten?
Dr. C. Kempter: Die Sorge vor einem Rückfall, dass der Krebs zurückkehrt. Das kann einen noch Jahre nach dem Ende der Therapie begleiten. Das macht die Nachsorge auch ambivalent. Einerseits möchte man kommen und hören, dass alles gut ist. Anderseits hat man Angst und möchte keine schlechte Nachricht erhalten. Die Mehrheit der Frauen bleibt nach Therapieende krebsfrei. Bei einigen Frauen kehrt der Krebs aber auch nach Jahren der Ruhe wieder zurück. Das ist das Unangenehme am Brustkrebs und kann Angst machen. Wir haben Patientinnen, die zehn Jahre keinerlei Anzeichen hatten. Dann treten plötzlich Schmerzen zum Beispiel im Rücken oder in der Hüfte auf. Bei der Abklärung stellt sich dann heraus, dass es eben keine Arthrose ist, wie erhofft, sondern eine Metastase. Aber dafür gibt es auch bei Brustkrebs mit Metastasen noch viele Therapiemöglichkeiten. Auch die teils beachtlichen Nebenwirkungen, die die Therapie mit sich bringt, beschäftigen die Patientinnen sehr. Also zum Beispiel chronische Müdigkeit, Erschöpfung oder durch die Antihormontherapie bedingte Beschwerden. Damit wird man schlagartig in die Wechseljahre katapultiert – mit allen ihren Erscheinungen: Gelenkschmerzen, Gewichtszunahme, Hitzewallungen, Verstimmungen. Wurde eine Brust entfernt, beeinflusst dies zudem das Körperbild der Frau und nicht selten auch die Partnerschaft. Manchmal wird all dies unterschätzt. 

«Es ist wichtig, dass man sich traut, auch scheinbar kleine Fragen zu klären.»


Kann man sich auf eine Nachsorgeuntersuchung vorbereiten?
Dr. C. Kempter: Es ist wichtig, dass man sich traut, auch scheinbar kleine Fragen zu klären. Hat man ein Symptom oder irgendetwas ertastet, sollten Patientinnen dies ansprechen. Oft reicht ein kurzes Gespräch oder eine Ultraschalluntersuchung, um diese Unsicherheit aus der Welt zu schaffen und nicht tagelang darüber grübeln zu müssen. Meist ist es hilfreich, sich vor dem Nachsorgetermin alle Fragen aufzuschreiben. Ein weiterer Punkt ist: Nachsorge ist Heilungszeit. Während der Behandlungszeit folgt oft ein Schritt dem nächsten: Abklärungen, medikamentöse Therapien, Strahlentherapie, Operationen – es bleibt kaum Zeit, zur Ruhe zu kommen. Man befindet sich im Überlebensmodus. In der Zeit der Nachsorge sollte das anders sein. Diese Zeit steht den Patientinnen zu. Zum Beispiel, um sich mit den neuen Lebensumständen anzufreunden und zu Kräften zu kommen. Vielen Frauen fällt es jedoch schwer, dies zuzulassen. Sie spüren nach Abschluss der akuten Behandlung den gesellschaftlichen und familiären Druck, schnell wieder belastbar zu sein – und stellen ihre eigenen Bedürfnisse hinten an. Hier ist die Unterstützung aus dem persönlichen Umfeld entscheidend. Oft aber ist es so: Bekommt eine Patientin eine Chemotherapie, kann es sein, dass sie ihre Haare verliert. Für das Umfeld ist dann sichtbar: Da ist jemand krank, da braucht jemand Unterstützung. Es wird Rücksicht genommen, Hilfe angeboten. Doch wenn die Therapie vorbei ist und die Haare langsam wieder nachwachsen, verändert sich auch die Wahrnehmung von aussen. Dann wirkt die Patientin äusserlich gesund – und für viele scheint damit alles wieder in Ordnung. Dabei ist gerade die Zeit nach der Therapie oft emotional fordernd und geprägt von Unsicherheit, Ängsten und körperlicher Erschöpfung. Hier braucht es viel Geduld, Rückhalt und Verständnis.

«Für mich beginnt Fürsorge nicht bei den medizinischen Massnahmen, sondern bei der Präsenz.»


Was bedeutet das konkret für den Umgang mit Ihren Patientinnen?
Dr. C. Kempter: Ich bin von Natur aus empathisch, und das prägt auch meine Arbeit. Durch den täglichen Austausch mit meinen Patientinnen und Patienten habe ich gelernt, wie wichtig Geduld und Zuversicht im Umgang mit einer Erkrankung sind. Für mich beginnt Fürsorge nicht bei den medizinischen Massnahmen, sondern bei der Präsenz. Ich versuche, in der Zeit, die mir für die Nachsorgeuntersuchung zur Verfügung steht, die Patientinnen dort abzuholen, wo sie gerade stehen. Die meisten kommen erstaunlich gut mit der Diagnose Krebs zurecht. Doch es gibt auch Patientinnen, bei denen die Erkrankung noch Jahre später das Leben stark prägt. Das ist menschlich sehr nachvollziehbar und doch nicht leicht mit anzusehen. Die Radiologie ist häufig der Ort, an dem der Brustkrebs diagnostiziert wurde. Daher verknüpfen viele Frauen diesen Ort auch mit ihrer Erkrankung. Das erfordert besonders viel Geduld und Einfühlungsvermögen bei der Untersuchung. Jede Patientin hat zudem ihre eigene Geschichte darüber, warum gerade sie erkrankt ist. Diese zu respektieren, ist wichtig, da sie der Patientin helfen kann, mit der Krankheit umzugehen. 

Fallen Ihnen gute Botschaften ein, wenn Sie an die Themen Krebs und Nachsorge denken?
Dr. C. Kempter: In den letzten Jahren hat die Medizin grosse Fortschritte gemacht. Die Therapien sind erfolgreicher und schonender. Durch die Nachsorge können Rezidive und Therapienebenwirkungen früher erkannt und besser behandelt werden. Viele Patientinnen und Patienten können deshalb lang und gut mit einer Krebserkrankung leben. Auch bei einem Rückfall stehen viele Therapiemöglichkeiten offen – gerade bei Brustkrebs –, was uns allen Mut macht.

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