«Soll die Patientin an Kompetenz gewinnen, braucht sie Menschlichkeit in ihrer Betreuung.»

Findet eine Patientin den Weg in eine neue oder alte Normalität, ist dies ein Grund zur Freude. Für die Patientin selbst, aber auch für die behandelnden Personen. Der Weg dorthin ist zuweilen lang und begleitet von dem einen oder anderen «rosa Elefanten». Sie zu erkennen, ist ein wichtiger Schritt, um in den Alltag zurückzufinden. Ein Gespräch mit Belegärztin Dr. med. Christa K. Baumann, Fachärztin Medizinische Onkologie und Allgemeine Innere Medizin, Brustzentrum Bern.

Was bedeutet es bei Nachsorge von Brustkrebs, dass die Frau im Mittelpunkt steht?
Dr. med. Christa Baumann:
Ich glaube, es geht darum, eine Perspektive zu finden, die die Patientin als Menschen wahrnimmt. Die sie wohlwollend begleitet. Eine Perspektive, die bereit ist, der Patientin zuzuhören und nachzufragen. Wir haben häufig Patientinnen, die rebellieren. Die weder den Krebs noch eine Behandlung wollen. Diese Patientin in den Mittelpunkt zu stellen, meint, den berühmten «rosa Elefanten» zu suchen. Das heisst, das Ungesagte zur Sprache zu bringen. Für mich als Onkologin bedeutet dies, auch schwierige Fragen zu stellen, die provozieren und aufrütteln können. Fragen wie: Warum haben Sie sich operieren lassen? Oder: Haben Sie Krebs? Diese Fragen zielen nicht auf eine medizinische Antwort ab, sondern auf das Denken. Sie rücken die Patientin unmittelbar in den Mittelpunkt, als selbstbestimmten und bewussten Menschen.

Heisst das, dass es Kompetenz in der Empathie und Empathie in der Kompetenz braucht?
Dr. med. Christa Baumann:
Es gibt Menschen, die gerne den «rosa Elefanten» herauskitzeln, andere mögen dies weniger. Ich persönlich bin Fan davon, da dies meiner Erfahrung nach die Kompetenz der Patientin fördert. In unserem Zentrum bieten wir fachlich hochstehende Medizin auf höchstem Level. Das ist für mich die eine Ebene von Kompetenz. Dann aber gibt es auch die Kompetenz der Patientin. Kann sie den Weg gehen und selbstbestimmt Entscheidungen fällen? Das ist nicht selbstverständlich. Soll die Patientin an Kompetenz gewinnen, braucht sie Menschlichkeit in ihrer Betreuung. Damit sie Kraft schöpfen kann und ihren eigenen Beitrag als Teil der Lösung erkennt.

Sie stellen also Ihre Patientinnen im besten Sinne auf, um neues Selbstvertrauen zu fördern?
Dr. med. Christa Baumann:
Das versuchen wir auf unterschiedlichen Wegen und Ebenen. Unser Farbsystem ist zum Beispiel auch ein Teil davon. Wir wissen, wie stark Farbe auf das Wohlergehen der Patientinnen einwirkt. Auch andere Spezialisten, wie jene der Radiologie oder der Radio-Onkologie, machen sich hierzu viele Gedanken. Wir haben unsere Räume bewusst für unsere Patientinnen gestaltet. Welchen Wert diese Gestaltung hat, wird den Patientinnen oft erst viel später bewusst, manchmal erst nach Jahren. Das ist schon faszinierend.

«Unsere Patientinnen vertrauen uns enorm.»


Wie wirkt sich ein gut etabliertes Netzwerk auf die Nachsorge aus?
Dr. med. Christa Baumann: Das ist unglaublich zentral. Unsere Patientinnen vertrauen uns enorm. Sie haben in der Regel ein oder zwei Ärztinnen oder Ärzte, die sie regelmässig betreuen. In der Nachsorge von Patientinnen mit Brustkrebs ist dies meist die Senologin. Hinzu kommen je nach Phase weitere Personen. Hier sind wir auf ein gutes Netzwerk angewiesen. Denn die Patientinnen erwarten von uns, dass wir die richtige Person hinzuziehen. Oft höre ich Fragen wie: Können Sie mir einen guten Hausarzt empfehlen oder einen Psychotherapeuten? Selbst Jahre nach Abschluss der Behandlung. Dabei zählt auch die Möglichkeit der Auswahl, um die richtigen Menschen zusammenzubringen. Menschen zu finden, zu denen die Patientinnen eine Verbindung aufbauen und die sie fragen können. Vielleicht auch für eine Zweitmeinung. Daher gehören für mich auch die Begriffe Netzwerk und Vertrauen unbedingt zusammen.

Ist dieses Vertrauen wichtiger als zum Beispiel die Information über Quellen wie das Internet?
Dr. med. Christa Baumann:
Das Internet ist sehr wichtig – auch als Challenge. Ich frage meine Patientinnen gerne, was sie dort gefunden haben. Denn dies hilft mir, unausgesprochene Sorgen oder Ängste zu erkennen. Sicher birgt die Selbstinformation auch Risiken. Aber der Gewinn an Informationen überwiegt diese Risiken bei Weitem.

Was ist für Sie das entscheidende Differenzierungsmerkmal der Lindenhofgruppe?
Dr. med. Christa Baumann:
Im Wesentlichen sind das für mich drei Punkte. Das zertifizierte Brustzentrum gibt eine klare fachliche Struktur vor. Die Patientinnen wissen, dass sie an den Tumorboards besprochen werden. Einige von ihnen wünschen sogar eine erneute Besprechung ihres Falles. Weil sie eine andere Meinung haben oder eine Frage stellen möchten. Ein weiterer Aspekt, der wirklich einmalig ist, sind die kurzen Wege in der Lindenhofgruppe. Wir sehen uns häufig und pflegen den regelmässigen Austausch, auch interdisziplinär. Der dritte Punkt ist die kontinuierliche Betreuung. Die Kombination aus hoher Kompetenz und kontinuierlicher Betreuung ist wirklich ausserordentlich.

Spielt auch die DKG-Zertifizierung eine Rolle?
Dr. med. Christa Baumann:
Wir haben das Thema Nachsorge schon immer sehr ernst genommen. Aufgrund der Zertifizierung haben wir in der Nachsorge keine Änderungen anstossen müssen. Hier liegen unsere Standards höher, als es die DKG verlangt. Aber dennoch hat die Zertifizierung auch für uns einen grossen Impact. Zum Beispiel bei den Audits. Dort hat man die Möglichkeit, ein Feedback zu bekommen. Das ist unglaublich wertvoll.

Was beschäftigt Patientinnen am meisten bei der Nachsorge?
Dr. med. Christa Baumann:
Normalität zu finden, ist ein sehr wichtiger Punkt. Entweder eine alte oder eine neue Normalität. Eine meiner Patientinnen hat während der Behandlung sehr viel Energie eingesetzt, um ihre Mutterrolle weiterhin zu erfüllen. Dieses Engagement hat sie an ihre Grenzen geführt. Aber für sie war es wichtig, diese Normalität aufrechtzuerhalten. Ein anderer Aspekt, der Patientinnen sehr bewegt, ist das Vertrauen in den eigenen Körper. Die Diagnose Krebs verursacht bei einigen Patientinnen Zweifel an der eigenen Urteilsfähigkeit. Das kann dazu führen, dass jede kleinste Bewegung im Körper Angst auslöst. Hier gilt es wieder herauszufinden, was normal und was nicht normal ist. Der dritte Punkt ist die Rückkehr in den Beruf. Die Patientinnen haben teils grosse Probleme, die Arbeit wieder aufzunehmen – häufiger als früher. Auch die Nebenwirkungen der Therapien und die Angst vor einem möglichen Rückfall beschäftigen die Patientinnen sehr. Aber diese Angst versteckt sich manchmal in den anderen Punkten, die ich genannt habe.

«Ich bin berührt, wenn Patientinnen gute Wege finden, ganz gleich bei welcher Prognose.»


Ein Thema, das weit in die Psychologie hinein reicht.
Dr. med. Christa Baumann:
Das ist unser Alltag. Der Satz «Die Seele geht zu Fuss» beschreibt recht gut, was viele Krebspatientinnen beschäftigt. Nach intensiven Therapien ist die Seele noch nicht dort, wo der Körper ist. Der Körper ist operiert, hat eine Chemotherapie erhalten, vielleicht eine Hormontherapie – die Seele aber ist noch bei der Diagnose.

Berühren diese Gespräche auch Sie selbst?
Dr. med. Christa Baumann:
Sie berühren mich sehr. Genau das gibt mir die nötige Energie. Wäre ich nicht berührt, wie könnte ich dann den Patientinnen nahekommen. Das bedeutet nicht, ihre Last zu übernehmen. Das wäre nicht hilfreich. Berührbar zu sein, schon. Ich bin berührt, wenn Patientinnen gute Wege finden, ganz gleich bei welcher Prognose. Wenn es gelingt, die Patientinnen zu befähigen, sich selbst zu helfen. Das freut mich enorm.

Welche guten Botschaften fallen Ihnen ein, wenn Sie an das Thema Brustkrebs und Nachsorge denken?
Dr. med. Christa Baumann: Da fällt mir die Heldenreise ein. Sie bezeichnet verschiedene Phasen, die ein Mensch in einer Krise durchläuft. Die gute Botschaft ist, wenn die Patientin ankommt. Das heisst, wenn sie eine neue oder auch alte Normalität findet. Der Weg dahin ist sehr individuell. Wir möchten den Menschen dabei den nötigen Raum für ihre Entwicklung geben.

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